Unter Spannung? Spannend!

Von | 10. Mai 2014

Es sollte ein Coup werden. Der Grüne Baustadtrat Kirchner wollte, dass die Gegend um den Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg herum einen Monat lang nur mit Elektroautos befahren werden darf. Doch dann: Stimmungsmache im Tagesspiegel, schlechte Kommunikation, großer Aufruhr, Bezirksbürgermeister entsetzt, alle sauer, Ende, Aus. Nun können sich andere Pankower Kieze bewerben. Soll die Florastraße mitmachen?

Ja, bitte! Wer am Nachmittag im Café Paula versucht ein Gespräch zu führen, der wird mitunter verzweifeln. Von oben lärmen die Flugzeuge, die eigenen Kinder betteln keifend um eine zweite Kugel Eis, andere brüllen sich die Seele aus dem Leib, weil ihr Mangosorbet mit Zuckerstreuseln (bunt) aus der Waffel gekippt ist. In schöner Unregelmäßigkeit donnert der M27 über die Florastraße, dicht gefolgt von einem Baustellenfahrzeug. Entspannung hört sich anders an. Die Lärmquelle Flugverkehr lässt sich so schnell nicht beheben, bei den Kindern hoffen wir, dass sich die Lautstärke mit der Zeit verwächst. Aber wie wäre es, wenn wenigstens der Verkehrslärm für einen Monat oder zwei Wochen heruntergeschraubt werden könnte? Wenn ein Kiez in Berlin von einer Verbannung von Verbrennungsmotoren und der so eingehenden Erholung für die Ohren profitieren kann, dann der Florakiez in Pankow.

innenraumhorror

Darauf verzichtet man gerne mal einen Monat lang.

Zugegeben, die Sache ist komplizierter als der facebook-Beziehungsstatus eines On-Off-Pärchens. Zunächst muss klar gestellt werden, was wir hier überhaupt gebrauchen können. Ein vorgeschobenes „Festival“ nutzt niemanden. Nennen wir es gleich, was es ist, nämlich ein Experiment. Wir sehen, wie wir ohne das auskommen, von dem wir wissen, dass es auf Dauer sowieso nicht tragbar ist: das Auto mit Benzin- oder Dieselmotor. Wir probieren diese Enthaltung gerne aus, auf Wurstbuden oder Wimpelketten können wir dabei verzichten.

Für das Experiment böte sich die untere Florastraße zwischen der Gaillardstraße und der Florapromenade an. Sowieso nervt viele Bewohner, dass kaum einer der Autofahrer an dieser Stelle das Tempolimit von 30 km/h einhält. Außerdem: Wieviele Bewohner der Florastraße haben tatsächlich noch ein Auto? Ich tippe darauf, dass nicht hauptsächlich die Bewohner des Kiezes vom Experiment betroffen wären, sondern eher diejenigen, die durch die Florastraße fahren, um sich in den Stau in der Wollankstraße einzureihen. Uns im Kiez würde durch einen Monat ohne Stinker auf der Straße erst einmal aufgehen, wie schön es hier wirklich sein könnte. Wenn wir es erst einmal wissen, dann meine Vermutung, werden wir uns noch stärker dafür einsetzen, dass die Lärmbelastung in Zukunft so niedrig wie möglich gehalten wird.

Denn nur die Lärmverschmutzung wird durch ein Elektroauto reduziert. Diese Vehikel fahren nicht emissionsfrei. Sie werden mit Strom betrieben, der durch Projekte wie Garzweiler II hergestellt wird. Wenn wir aber kein Festival feiern, bei dem wir das braunkohlebetriebene Elektroauto als Lösung für unser Feinstaubproblem darstellen, müssen wir gar nicht so tun, als würden wir die Zukunft feiern.

Selbstverständlich wäre solch ein Experiment für uns alle mit einem gewissen Aufwand verbunden. Und es muss Ausnahmen geben, beispielsweise für Pflegedienste oder Krankenwangen. Aber gerade in unserem Kiez leben doch experimentierfreudige Menschen, warum nicht andere Möglichkeiten der Mobilität nutzen, vor allem wenn zur gleichen Zeit kostenlose Elektroauto zur Verfügung gestellt würden? Einem Ziel könnten wir mit den Elektrowochen im Kiez näher kommen, der Elektrifizierung der Linienbusse. Sie sind eine der größten Lärmquellen und trotzdem schafft es die BVG nicht, eine Elektroalternative auf die Strecke zu bringen. Elektrowochen in einem vom Busverkehr stark frequentierten Kiez könnte für alle ein Anreiz sein, noch stärker an diesem Problem zu arbeiten. Wir sollten es probieren. Vier Wochen Elektromobilität wären machbar. Probieren wir es einfach mal – nach Absprachen und mit Vorwarnung – aus.

Hanno Hall ist anderer Meinung. Lesen Sie hier, warum

5 Kommentare zu “Unter Spannung? Spannend!

  1. AlexM

    Auf so ein Festival kann ich gut verzichten, allerdings fände ich weniger Autos im Florakiez eine tolle Sache!

    Auch ich denke, dass der Großteil des Verkehrs weniger auf Anwohner zurückzuführen ist, sondern eher auf „Durchreisende“, die eine Abkürzung suchen und nicht über die Hauptstraßen (Mühlenstraße, Wollankstraße) fahren wollen.

    Aber auch ohne Festival denke ich, dass wir unseren gewählten Vertretern die Idee von „Mehr Lebensqualität statt Durchgangsverkehr“ nahebringen sollten. Mir den Pollern in der Neuen Schönholzer Straße hat es ja auch überraschend schnell geklappt… 🙂

  2. Christoph Liebers

    Frau Tenberg spricht mir aus dem Herzen! Wir sollten diese Chance ergreifen und versuchen, Experimentierkiez zu sein!

  3. Henning Finck

    Ich habe selbst über ein Jahr viel Erfahrung als Testfahrer mit Wasserstoffautos und E-Mobilen sammeln können. Ich finde die Technologie super und die Beschleunigung dieser ultra leisen Autos ist besser als bei einem Motorrad.

    Gerda weil die Autos so leise sind und extrem schnell beschleunigen, sind sie für einen Modellmonat im Florakiez denkbar ungeeignet. Wir leben hier doch auch, weil es ein kinderfreundlicher Stadtteil ist. Wenn Elektrofahrzeuge mehr als nur Abrollgeräusche ab 30 km/h machen würden, würde ich das vielleicht in diesem Punkt anders sehen. Aber diese geräuschlosen Flitzer sind bei dem Kinderreiuchtum in unserem Kiez einfach viel zu gefährlich. Ich bin trotz meiner Begeisterung für Geschwindigkeit natürlich in der City langsam und extrem rücksichtsvoll gefahren, aber so viele gefährliche Situationen mit Radfahrern hat man mit einem konventionellen Auto zum Glück nie.

    Für einen Monat einen ohnehin an Parkraummangel leidenden Kiez mit diesem Modellprojekt zu überziehen ist keine gute Idee, um E-Mobilität zu promoten. Man braucht einen großen Platz als Ausstellungsfläche, den wir in der Florastrasse nicht haben. Der Kollwitzplatz mit seinem Kiez wär ideal. Man braucht Schauplätz für ein Schaufenster.

    Ich kann noch mehr Argumente gegen das Modellprojekt in unserem Kiez bringen und als Fan dieser Technik und Testfahrer weiss ich wovon ich rede. Auch hier gilt der Satz: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

  4. Verärgerter Anwohner

    Der Florakiez hat 365 Tage im Jahr ein Elekrifizierungsfestival, dass es eine Wonne ist: S-Bahn, U-Bahn, Tram, und alles fußläufig erreichbar. Ziel des zunächst für den Helmholtzplatz geplanten Festivals ist nicht die Durchsetzung einer bestehenden Tempo 30-Zone. Die Veranstaltung zielt genauso wenig auf kreative Gedanken, den Durchgangsverkehr zwischen Wedding und dem Norden aus der Florastraße herauszuhalten. Das aber ist, was das von Ihnen herbeigesehnte mehr an Sicherheit und weniger an Lärm erbrächte. Und nicht solch ein Kaspertheater von und für Gutbetuchte, die sich die E-Karre von Volvo oder gleich von Tesla als neues Statussymbol vor die Tür oder in die Tiefgarage stellen werden. Es ist doch kein Zufall, dass als Ort für das Festival zunächst ein anderes Gentrifizierungsgebiet ausgewählt worden war.

  5. Uwe K.

    Wie weltfremd ist das denn, nicht mit mir! Ich fahre einen Dienstwagen und lege damit im Monat rund 2.000 km zurück. Ich beteilige mich nur dann an dem Benziner-/Dieselverbot, wenn mir die Organisatoren den vierwöchigen Verdienstausfall erstatten.

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