Interview mit Baustadtrat Kirchner (Teil 3): „Eine Kiste ist kein Denkmal“

Von | 26. Januar 2014
Sogenante Lisenen wurden auf die Fassade geschraubt

Er gilt als durchsetzungsstark, bürgernah und streitbar: Pankows Grüner Stadtrat Jens-Holger Kirchner. Als damaliger Chef des Ordnungsamtes hat er die Smileys für Restaurants eingeführt. Seit 2011 ist er Stadtrat für Stadtentwicklung und damit zuständig für fast alle Auswirkungen, die das starke Bevölkerungswachstum in Pankow mit sich bringt. Im Florakiez streitet er mit Investoren um Baugenehmigungen, verbietet Luxussanierungen und kümmert sich um Zebrastreifen.

florakiez.de: Das Ärztehaus mit der umstrittenen Fassade am Garbátyplatz ist ein Konflikt, der Sie lange beschäftigt hat. Nun wurde die Fassade mit silbernen und goldenen Dreiecken aufgehübscht. Wie gefällt Ihnen das Ergebnis?

Jens- Holger Kirchner: Naja, das ist jetzt so. Das hat ein bisschen was von den 60er-Jahren. Aber besser als vorher, finde ich.

Ist der Konflikt mit dem Investor Merz Objektbau damit beigelegt?

Ja, das Verhältnis ist jetzt freundlicher als zuvor. Über Architektur kann man ja immer trefflich streiten, aber das Hauptproblem war, dass der Investor anders gebaut hat, als es beantragt war. Ursprünglich war es vergleichsweise ansprechend, weil eine helle Fassade vorgesehen war. Aber damals war ja schwarz gerade modern und der Investor hat mir immer erzählt, er bekommt jetzt einen Architekturpreis für die Fassade (lacht) und ich soll mich doch nicht so haben, die Downing Street wäre auch schwarz. Aber das Hauptärgernis war, dass er anders gebaut hat, als genehmigt. Da sind wir ihm in die Parade gefahren, es gab lange Verhandlungen und das ist dabei herausgekommen.

Musste er das angedrohte Bußgeld von 50.000 Euro zahlen?

Nein, weil wir uns ja geeinigt haben. Das war wie im Kinderzimmer, dieses Bußgeld mussten wir ihm erst einmal androhen. Dann ging es auch. Sicherlich hat uns auch geholfen, dass er das Haus an die Karl Schlecht Stiftung verkaufen wollte. Und die hat gesagt, wir kaufen das Haus nur, wenn der Streit beigelegt ist. Es gab also deutliche Argumente, uns entgegenzukommen.

Passiert noch etwas mit dem sogenannten Garbátyplatz, besser gesagt mit dem, was davon noch übrig ist. Wird er noch etwas gemütlicher?

Der ist noch nicht fertig, dort sollen noch Bäume gepflanzt und weitere Fahrradständer aufgestellt werden. Und dann kommt das Denkmal selber noch, das steht ja noch nicht.

Sind auch Bänke geplant?

Wollen Sie sich dort wirklich hinsetzen?

Nein, schön ist es dort nicht, genauso wie der Weg unter der Bahnbrücke.

Tote Ecke unter der S-Bahnbrücke an der Berliner Straße

Stimmt, die Brücke ist neu gebaut worden aber dann hat das Land Berlin aufgrund der Finanzlage der Stadt keine Möglichkeiten  gehabt, die Mehrkosten für den Bau der Widerlager parallel zur Straßenbegrenzung zu bezahlen. Jetzt stehen sie im rechten Winkel zur Brücke.

Und dadurch entstanden diese Pinkelecken.

Das ist tatsächlich die „Nichtschön-Variante“. Die zwei, drei Meter fehlen uns nun allen Ecken und Enden. Deshalb gibt eine versetzte Straßenbahnhaltestelle; deswegen gibt es nur so einen schmalen Haltestellenbereich stadtauswärts und so weiter. Das ist eine Kettenreaktion. Abgesehen davon, dass die Brücke nun auch nicht gerade schick ist. Das ist eine Industriebrücke wie über den Mittellandkanal – mitten in Pankow.

Wenn wir schon in der Ecke sind, dann sind wir auch gleich bei Herrn Krieger und seinen Plänen für den ehemaligen Güterbahnhof. Was halten Sie von dem Projekt?

Ich setze auf Qualität. Dass der Platz an der Berliner Straße aufgewertet wir? Unstrittig. Dass dort Wohnungsbau hin soll? Unstrittig. Dass wir da eine neue Schule bauen wollen? Das ist auch unstrittig. Dass der Möbel Höffner dort hin soll ist auch unstrittig. Das sind zweifelsohne städtebauliche und architektonische Herausforderungen, zu denen noch einiges zu streiten ist. Ich bin mir aber sicher, dass sich Qualität durchsetzen wird und nicht Kistenarchitektur wie am Stadtrand.

Und wie stehen Sie zu dem geplanten Einkaufszentrum?

Es soll kommen, aber in welchem Kontext – das ist der schwierige Teil und eine Auseinandersetzung wert. Das ist ein 70er-Jahre Standort mit Autobahnanschluss, geplanten 2500 Stellplätzen, ein Möbelfachmarkt, ein Einkaufszentrum, eine quasi in sich geschlossene Gesellschaft. So etwas baut heute kaum einer mehr. Alle Einkaufszentren weltweit fangen an, sich anders zu orientieren, wollen städtische Strukturen reinholen. Da tauchen Kinos, Kultur und Gastronomie auf. In mittleren Städten reißen sie ganze Einkaufszentren ab und bauen sie neu und zwar in der Struktur der Stadt. In Hamburg baut IKEA sogar ein Möbelhaus ohne Stellplätze. Es geht bei diesem Projekt um nicht weniger als die Zukunft des Einzelhandels. Vor allem auch um die Zukunft des bestehenden Einzelhandels. Dieser darf nicht um den Preis eines Riesencenters kaputt gemacht werden. Das ist interessant, hoch strittig und muss auch verhandelt werden.

Stehen Sie in direktem Kontakt mit Herrn Krieger?

Ja, klar, wir streiten uns auch gelegentlich. Das ist direkt und ehrlich, also produktiv. Ich bin der Ansicht dass sein jetziges Konzept eher in die Zeit der Dinos passt. Und er sagt, er weiß, was er kann und er baut so, wie es funktioniert. Kennen Sie den Elbepark Dresden von Krieger? Wir sind uns aber einig, dass es so nicht werden soll und das städtebauliche Qualität Vorrang hat. Ich bin da mittlerweile zuversichtlicher – weil wir miteinander reden.

Ist Krieger nicht auch Pankower?

Ja, das sagt er immer. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, sich ein Denkmal errichten zu wollen, und ich sage ihm immer, eine Kiste ist kein Denkmal. Diese 40 Hektar sind es wert, dass man sich streitet. Ein Stück lebendige Stadt soll dort entstehen. Die Florastraße beispielsweise ist von Allem etwas. Aber ein Einkaufszentrum alter Art ist eben nicht von Allem etwas und prägt den Kiez massiv.

Und birgt ein weiteres Verkehrsproblem…

Eben. Wir reden hier über die Florastraße! Da kriegen Sie Einiges ab, von den bis zu 36.000 prognostizierten Fahrzeugen pro Tag.

Morgendlicher Berufsverkehr in der Florastraße

Welche Rolle spielt die Florastraße denn im Verkehrskonzept des Bezirks?

Sie ist eine wichtige Ost-West-Verbindung und daran wird sich auch nichts ändern. Deswegen sanieren wir sie auch immer wieder, gerade die Gehwege. Im 1. Quartal wird auch die Fahrbahn zwischen Florapromenade und Mühlenstraße neu gemacht. So lange wir uns in der Stadt bewegen, wie wir das tun, ist die Idee einer Fußgängerzone oder eines verkehrsberuhigten Bereichs zwar nachvollziehbar, aber… wie sage ich das jetzt diplomatisch? Das soll ja immer nur vor der eigenen Haustür gelten…

Wird sich eigentlich am Anger auf dem ehemaligen Kaufhallen-Grundstück etwas tun?

Der Investor wartet auf die Entscheidung, ob das Einkaufszentrum von Krieger kommt oder nicht. Ich denke mittlerweile, das die Fläche für den Einzelhandel immer ungeeigneter wird. Da kann ich mir, wenn Tegel geschlossen ist, auch eine andere Nutzung vorstellen: Wohnen, Dienstleistungen, Kita,…

Wie sieht es mit dem geschlossenem Hallenbad am Schlosspark aus? Es ging mal durch die Presse, dass die Bäderbetriebe neue Pläne dafür hätten.

Nicht, dass ich wüsste. Das Schwimmbad Wolfshagener Straße wird uns weiterhin beschäftigen.

Es ziehen immer mehr Familien nach Alt-Pankow und die Kinder brauchen Schulplätze, wie reagiert der Bezirk darauf?

Eigentlich dürften wir keine einzige Wohnung mehr in Pankow genehmigen, weil wir durch den Bevölkerungszuwachs jedes Jahr eine neue Grundschule brauchen. Wir gehen aktuell über zu Zwischenlösungen wie mobilen Unterrichtsräumen, aber das kann nicht die Lösung sein.

Könnten Sie Genehmigungen deswegen tatsächlich versagen?

Nein. Pankow fordert genau deshalb ein landesweites Strukturprogramm. Denn wer Wohnungen baut, muss auch an Schulen, Kitas, Straßen, Grünflächen und Senioreneinrichtungen denken. Mit der Forderung ist Pankow aber noch etwas alleine. In anderen Bezirken freuen sie sich, dass Wohnungen gebaut werden, dann bekommen sie ihre Schulen voll und müssen sie nicht schließen. Da sind wir schon lange nicht mehr.

Gibt es noch Flächen für neue Schulen?

Ja, in der Grabbeallee hat das Bezirksamt  gerade ein Grundstück vom Liegenschaftsfonds zurückgeholt. Auch bei der Entwicklung des Krieger-Geländes sind zwei Schulen Bestandteil der Planung. Außerdem werden manche Schulen in Pankow auch mit mobilen Unterrichtsräumen erweitert.

Ist die Kitasituation genauso angespannt?

Ja, aber die ist leichter zu handhaben, denn eine Kita baut sich schneller, und es gibt auch viele Elterninitiativen. Eine Schule ist schon etwas anderes.

Schlagen wir den Bogen zum Beginn unseres Gesprächs, zur Entwicklung Pankows. Wie sehen Sie Alt-Pankow in 10 Jahren?

Ich glaube, dass dann eine große Übereinstimmung zwischen der Bevölkerung und ihren Ansprüchen und dem vorhandenen Angebot vorhanden ist. Das ist nicht das Schlechteste. Im Florakiez fühlt man sich ja jetzt schon wohl.

Sie meinen mehr Geschäfte, mehr Restaurants…?

Ja, und Knabberfische und Yogastudios…ein ausdifferenziertes Angebot für Einzelhandel und Dienstleistungen eben. Das Angebot wird zu den Bedürfnissen passen und in Grünzüge und Parks eingebettet sein. Mitten im Grünen und in 15 Minuten mit der U –Bahn am Alex, besser geht’s kaum.

Werden dann, in 10 Jahren, auch noch Alteingesessene in Alt-Pankow wohnen?

Ja klar! Wenn ein Ortsteil von seniorengerechten Wohnungen, Wohn- und Pflegeeinrichtungen für Senioren geprägt ist, dann ist das Pankow.

Mit Jens-Holger Kirchner sprachen Cathrin Bonhoff und Hanno Hall

Teil 2: Kleingartenanlage Famos, Nasses Dreieck
Teil 1: Florakiez, Verdrängung und Neubauten