Ich fühle mich einsam. Seit vielen Jahren hänge ich nun schon unter der Eisenbahnbrücke in der Maximilianstraße und immer seltener kommen Kinder mit ihrem Taschengeld angerannt. Seit einiger Zeit steht zwar eine Ersatzbushaltestelle in meiner Nähe, aber die langweilt sich auch. Stattdessen laufen immer mehr Mamas oder Papas mit Kinderwagen oder Kleinkindern an der Hand an mir vorbei. Der Nachwuchs kennt mich noch nicht und darüber sind die Eltern auch ganz froh. Denn wenn ich erst einmal entdeckt werde, dann haben sie keine Ruhe mehr – während ich Hoffnung schöpfe. Neugierige Kinderblicke untersuchen meinen Inhalt. „Darf ich?“ , „Bitte, bitte.“ In diesem Moment fühle ich mich großartig, begehrt.
Ich bin zwar in die Jahre gekommen, aber ich habe immer noch Ausstrahlung. Und mal im Ernst, ich habe keine albernen Plastikringe im Angebot, ich habe gruselige Zähne. Und natürlich Kaugummis, schon immer, ohne die geht es nicht, nur heißen sie jetzt RainForest Fruit Flavour Bubble Gum. Doch meine Euphorie währt nur kurz. Denn jetzt werde ich noch einmal begutachtet, dieses Mal mit kritischen Erwachsenenaugen: Sind die Kaugummis überhaupt noch gut? Zugegeben, ich bin mir auch nicht sicher. Früher wurden meine vier Behälter regelmäßig ausgetauscht. Aber das ist schon eine Weile her. Und die Halbwertzeit von Kaugummis? 6 Jahre? Na, vielleicht schmecken sie nicht mehr, wenn ich ehrlich bin, haben sie noch nie geschmeckt, aber sterben tut das Kind daran auch nicht.
Der skeptische Elternblick wandert weiter über mein rotes Gehäuse, um meinen Gesamtzustand zu analysieren. Nun ja, dabei komme ich nicht gut weg. Wie auch. Ich bin offensichtlich vernachlässigt und mehrfach misshandelt worden. Mir fehlen zwei Klappen, das eine Ausgabefach ist verklebt, ich wurde bemalt und getreten. Ich tue mir selbst leid. Meistens passiert es, wenn es dunkel ist. Seit dem es mich und meine Artgenossen gibt, haben sich Generationen von Kindern gefragt, wie komme ich an möglichst viel Inhalt, ohne zu bezahlen? Anfangs war das für mich ein unterhaltsames Spiel. Schließlich wurde ich auch immer wieder aufgebaut, psychisch und physisch. Da hält man einiges aus. Doch die Methoden sind mit den Jahren härter geworden, die Kinder älter. So scheint es mir. Vielleicht täusche ich mich auch. Vielleicht fehlt mir auch nur die gewohnte Fürsorge? Ich glaube, man hat mich vergessen. Zwar hängt in meinem Gehäuse ein Zettel mit einer Telefonnummer, doch wie soll ich…. Letztens hat dann doch jemand dort angerufen und ein paar Tage später wurde ich komplett leergeräumt. So leer fühlte ich mich noch nie, nun hängt nur noch meine Hülle an der Wand hängt. Fraglich wie lange. So hatte ich mir meine Zukunft nicht vorgestellt.
An dieser Stelle habe ich mich schon oft gefragt, wie oft muss dieser Automat noch mißhandelt und zerstört werden, damit er nicht neu bestückt wird. Aber dann plötzlich nach einiger Zeit sieht er wieder etwas gesünder aus, was allerdings nie lange anhält.
Aber schon sehr ausdauernd, nur bringt das denn noch Geld?
Werde weiterhin ein Auge auf dem kleinen Blechkasten haben 🙂
Hübsch geschrieben, Frau Bonhoff!
Es ist nur Winterpause. Im Februar ist er wieder da. Ist jedes Jahr so. Keine Panik.