Die Redaktion der Moron trudelt langsam ein. Nicht alle Mitglieder sind zur Konferenz erschienen, die einen haben einen Arzttermin, die anderen Stress. Denn: Die Moron ist die Schülerzeitung des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums in Pankow und gerade stehen Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss und zum Abitur an.
Seit 2004 gibt es die Moron, was im Englischen „Idiot“ bedeutet. Das in schwarz-weiß gedruckte Magazin ist immer etwa 80 Seiten stark, erscheint zwei bis vier Mal im Jahr und ist das Resultat der Fusion aus einer bestehenden Schülerzeitung und einer Schülerinitiative. Weshalb die Schülerinnen sich genau auf diesen Namen geeinigt haben ist nicht überliefert. Nur, dass sie ihn sich selbst ausgesucht haben und es dabei geblieben ist. Seit den Anfängen der Moron leitet Christoph Fritze, Lehrer für Deutsch, Philosophie und Ethik die AG zu dem Blatt. Die Chefredakteurinnen und -redakteure wechseln, schließlich ist die Zeit an der Schule begrenzt. Was aber seit Jahren gleich bleibt, ist die hohe Qualität. Im Januar erst gewann die Moron auf Bundesebene die Auszeichnung „Bestes Interview“ beim Schülerzeitungswettbewerb, der Länder, der von der Jugendpresse Deutschland ausgerufen wird. Auf Landesebene gab es den dritten Platz in der Kategorie „Gymnasium“.
Die Redaktion trifft sich immer donnerstags nach dem Unterricht in einem Raum, der mit seinen vielen PCs schon ein wenig wie ein echter Newsroom wirkt. Aaron Schmitt wirft das Whiteboard an und sucht eine Datei. Der große Zehntklässler mit einem kurzen braunen Zopf arbeitet seit der siebten Klasse bei Moron mit, seit etwa einem Jahr ist er Chefredakteur. Dabei kümmert er sich auch um die Anzeigen. Zwei Euro kostet die Moron für Lehrer, Schüler bekommen sie für einen. Sobald eine neue Ausgabe auf dem Markt ist, bietet die Redaktion sie etwa eine Woche lang an, bis kein Heft mehr zu haben ist. Die erste Auflage pendelt um die 300 Exemplare. „Wir verkaufen auch bei Hoffesten“, erklärt Aaron, „dann machen wir einen Stand und drucken welche nach.“
Zur Konferenz am letzten Donnerstag im März bringt Fritze eine Kiste mit USB-Sticks mit. „Die sind alle leer“, beschwert sich Jenni, dabei erinnere sie sich genau, ihre Arbeit gespeichert zu haben. Die gesuchte Datei befindet sich wohl auf einem anderen Stick, der noch zu Hause liegt. Fritze schimpft ein wenig, aber dann wird heute eben etwas anderes gemacht und noch einmal das Layout für die 35. Ausgabe mit Indesign bearbeitet. Die behandelt das Thema „Glaube“ und alle zusammen schauen sich Zeichnungen anderer Schüler an, die in der Moron aufgenommen werden könnten. Wie kommt die Moron zu ihren Titelthemen, die dann das Heft bestimmen? Meist besprechen die Mitglieder der AG die Vorschläge zwei bis drei Sitzungen lang, bevor sie sich auf ein Thema einigen.
Über die Jahre hat die Moron es geschafft, die Schüler und ihre Themen in ihrer Welt abzuholen. So gibt es Artikel über eine Schüleraustauschorganisation und Drogenkonsum in der Oberstufe. Einen Bericht vom Besuch im Anne-Frank-Haus in Amsterdam und ein Nachdenkstück über Plastikverbrauch. Dazu aber auch Interviews, wie das mit dem Besitzer eines Bubble-Tea-Laden und mit zwei Menschen, die einen anderen durch Selbstmord verloren haben. „Ich versuche den Schülern beizubringen, dass sie frei sind und alles machen können. Ich versuche, sie mit Mut auszustatten“, sagt Fritze, der sich selbst gleichzeitig als meinungsstark bezeichnet. Beim Kardinal von Berlin um ein Interview bitten? Warum nicht? Oft sind die Schüler selbst erstaunt, was alles geht. Wie kommen die Schüler darauf, bei der Moron mitzumachen? „Wir bieten alle zwei Jahre einen Schreibworkshop an“, erklärt Fritze, danach würden viele Schüler mitmachen wollen, das dünne sich im Laufe des Jahres aus, willkommen sind Schüler aller Klassenstufen.
Auf einen Plausch mit der Sektenbeauftragen
Svenja Schrader aus der 10. Klasse gefällt an der Arbeit bei der Moron vor allem, dass sie als Journalistin Dinge tun kann, die einem als „Nur“-Schülerin gar nicht einfallen würden, beispielsweise für einen Artikel einfach mal mit der Sektenbeauftragten des Landes Berlin sprechen. Die letzte Ausgabe war die erste, an der sie mitgearbeitet hat und damit landete sie gleich einen Volltreffer, schließlich ist das im Januar ausgezeichnete Interview mit einer Iranerin, die nach Deutschland geflüchtet ist, von ihr. Lina Kujak, ebenfalls 10. Klasse, ist durch eine Freundin zur Moron gebracht worden. Sie schreibt gerne und erfährt bei der Schülerzeitung den Ansporn, es auch gut zu machen. Konrad Mansfeld aus der siebten Klasse führt am liebsten Interviews für das Format „Kennzeichen CvO“, bei dem Menschen aus dem Dunstkreis des Gymnasiums auf die immer gleichen Fragen antworten.
Doch eine Schülerzeitung besteht, genau wie bei den großen Blättern, aus mehr als nur Reportagen und Interviews. Eine Schülerzeitung besteht auch aus Layoutern, Fotografen und mitunter auch aus gezeichneten Kommentaren. Daran sitzt Michelle Liebs. „Ich bin unfreiwillig zur Kommentarzeichnerin geworden“, meint sie zwar. Aber was sie zu Papier bringt, sieht nicht nach Zwang und Qual aus.
Obwohl die Schule und der Schulleiter Bernd Schönenberger sehr tolerant sind, kommt es doch hin und wieder zu kleinen Disputen. Berichte über Sexualität und Pornos aus einer der vergangenen Ausgaben war vielen zu hart, so dass der Direktor von einem Kollegen aufgefordert wurde, den Vertrieb an der Schule zu verbieten. Artikel zu Liebessehnsüchten der Schüler gehen aber durch.
Ossietzky-Affäre? Da war doch was!
Wenn in der Schülerzeitung des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums ein offenerer Ton herrscht als anderswo, dann liegt das auch an der Geschichte der Hauses, man könnte auch sagen, am Trauma. 1988 wurden in der sogenannten Ossietzky-Affäre Schüler der Anstalt verwiesen, die bei der sogenannten „Speaker’s Corner“ Sympathien mit der Solidarnosc-Bewegung in Polen gezeigt hatten und sich gegen Militärparaden aussprachen. Dabei war den Schülern vorher zugesichert worden, dass sie ihre Meinung frei äußern könnten. Kritische Artikel wurden aus der Wandzeitung entfernt und die Schüler der Schule verwiesen, beziehungsweise strafversetzt. Erst nach der Wende durften sie ihr Abitur nachholen.
Dass die Schülerzeitung solide Arbeit leistet und Preise gewinnt, dass ihr Ruf hervorragend ist und sie seit zehn Jahren kontinuierlich mit Leben gefüllt wird, macht den Erfolg der Moron aus. Nun steht das Blatt nur noch vor einer Herausforderung, und auch da ähnelt sie den großen Zeitungen, die ihr vielleicht etwas voraus sind, aber deswegen nicht klüger. Noch nämlich gibt es die Moron nur als Print-Version und nicht Online. Aber das wird sich sicher in den nächsten Jahren ändern.