Monats-Archiv: März 2015

Mieter darf unwirtschaftliche Dämmung ablehnen

Noch gänzlich unsaniert: Florapromenade 21

Wenn die geplante Wärmedämmung einer Fassade unwirtschaftlich ist, müssen Mieter die Modernisierung nicht hinnehmen. Dies hat das Amtsgericht Pankow/Weißensee entschieden. Im konkreten Fall hatte die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau die Mieter einer Wohnung in der Pestalozzistraße 4 auf die Duldung von Modernisierungsmaßnahmen verklagt. Das Gericht gab der Vermieterin in einigen Punkten Recht, stellte sich in Sachen Dämmung aber auf die Seite der Mieter. Das Vorhaben sei, wie der Austausch der vorhandenen Fenster gegen neue Kunststofffenster, nicht zumutbar.

Das Gericht begründetet die Entscheidung damit, dass den Mietern auch in zehn Jahren immer noch keine Kosteneinsparung entstehen würde. Die Gesobau hatte dargelegt, dass sich durch die Dämmung und neue Fenster eine monatliche Einsparung von Heizkosten in Höhe von 68,78 Euro ergäbe und gleichzeitig eine Mieterhöhung um 249,29 Euro angekündigt. Selbst wenn sich der Heizölpreis verdoppeln würde, stünde der Mieterhöhung nur eine Ersparnis von dann 147,56 Euro gegenüber. Damit ist die Maßnahme nach Auffassung des Gerichts unwirtschaftlich. Die Energieeinsparverordnung EnEV lasse Ausnahmen von der Verpflichtung zur Dämmung zu, wenn bei bestehenden Gebäuden innerhalb einer angemessenen Frist die Kosten nicht durch Einsparungen erwirtschaftet werden können.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, beide Parteien wollen in Berufung gehen.

Durch den seit Jahren schwelenden Streit um die Modernisierung und das Engagement des Pankower Mieterprotests ist die Pestalozzistraße 4 über die Grenzen des Bezirks hinaus bekannt geworden. Der Gesobau gehören in Pankow etliche Häuser, bei denen umfangreiche Arbeiten geplant sind. Im Florakiez betrifft dies beispielsweise die Florapromenade 21.

Architektur der Kiezgesellschaft – Bauen in Pankow

Ein Gastbeitrag von Steffen Janke

Fast drängt sich das Gefühl einer neuen Gründerzeit auf. Die Stadt wächst! Berlin schließt, was die Immobilienpreise angeht, zu Städten wie Hamburg oder München auf. Die Gentrifizierungswelle ist schon längst vom Prenzlauer Berg nach Pankow geschwappt. Das kann man allgemein beklagen, macht aber wenig Sinn. Es ist eine natürliche Entwicklung. Stadtteile mit einer gesunden städtebaulichen Substanz und einer guten Infrastruktur werden sich mittelfristig entwickeln.

Die Quartiere erfahren eine Aufwertung, die den marktwirtschaftlichen Gesetzen folgt. Das ist grundsätzlich nichts schlechtes, bringt aber viele Befindlichkeiten der betroffenen Anwohner hervor. Jeder hat seine Vorstellung vom Kiez. Man gewöhnt sich an das Stadtbild, man kennt die Ecken, die Leute. Aber keiner hat Anspruch auf die Erhaltung des Status quo. Die Stadt, insbesondere Berlin, war und ist immer in Bewegung und Veränderung. Wer in der Stadt lebt, wohnt und arbeitet, muss wohl ein gewisses Maß an Toleranz und Flexibilität sein Eigen nennen.

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Baustelle in der Görschstraße

2008 begann die Sanierung und Umnutzung der Alten Mälzerei in der Neuen Schönholzer Straße. Dieses Projekt stellt aus heutiger Sicht den Beginn der rasanten Veränderung des Florakiez dar. Seitdem wurden hier zahlreiche Wohnungsbauvorhaben realisiert. Und dieser Trend scheint kein Ende zu finden. Baulücken wurden und werden geschlossen, Industriebrachen reaktiviert, Kleingärten mussten weichen. Angesichts der großen Veränderungen in ganz Berlin, macht es keinen Sinn, in Pankow alles Bestehende konservieren und bewahren zu wollen. Vielmehr müssen sich die Gestalter der baulichen Veränderung in Berlin und eben auch im Florakiez über ihre gesellschaftliche Verantwortung bewusst sein. Investoren, Baugruppen, Wohnungsbaugesellschaften und nicht zuletzt Architekten müssen sich vergegenwärtigen, dass sie nicht nur ein Stück Stadt gestalten, sondern gesellschaftlich relevant handeln. Denn auch wenn es jedem Grundstückseigentümer oder Bauherren im Rahmen des Baugesetzbuches und der Landesbauordnung freisteht, nach seinem Willen zu bauen, zu entscheiden welche Kubatur, Farbe und Gestus sein Bauwerk haben soll, so muss ihm klar sein, dass ein einzelnes Haus eine Wirkung auf die gesamte Öffentlichkeit hat. Es stellt den kleinsten Teil der städtebaulichen Struktur dar.

Die Verantwortung der Bauschaffenden

Denn jedes Bauwerk beeinflusst die Wahrnehmung von Straßenfluchten und Stadträumen und es beeinflusst uns als Betrachter unbewusst im Alltag. Deshalb stehen Bauherr und Architekt in der Kritik, im Positiven wie im Negativen. In diesem Kontext liegt die Verantwortung der Bauschaffenden. Aus diesem Grund muss jedoch auch die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Sie muss dafür sorgen, dass soziale Verdrängung minimiert wird, dass Baurecht geschaffen wird, dass die Grundlage für ein gesundes gesellschaftliches Miteinander im Kiez geschaffen wird.

Hier stellt sich mir die Frage, ob das den Akteuren wirklich bewusst ist. Gibt es so etwas wie Baukultur hier im Kiez? Gibt es Gestaltungswillen? Gibt es ein Gefühl für Kubatur, Kontext und Material? Gibt es neben den greifbaren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen andere „weiche“ Faktoren?

Dem Anschein nach ist der Wunsch der Leute nach Wohneigentum so groß, dass Käufer bereit sind, an allen Ecken und Enden Kompromisse auf Kosten der Gesamtqualität einzugehen. Legt der Bauherr beim Bodenbelag noch größten Wert auf massives Eiche-Stabparkett und Kloschüsseln von Villeroy & Boch, so ist er bei den Innentüren schon kompromissbereiter. Da kann es auch eine Tür mit billiger Beschichtung und gefälztem Türblatt sein. Ganz egal wird es dann bei der Fassade. Plastikfenster, Plastikputz, Plastikfarbe und Styropordämmung bestimmen das Tagesgeschäft der Bauschaffenden. Mit Schuld an den für alle Zeit und alle Bewohner des Kiezes sichtbaren Abstrichen bei der Fassadengestaltung ist, dass die Finanzierung des Eigenheims oftmals eng gestrickt wird. Wichtiger als nachhaltige, hochwertige Baumaterialien ist den Bewohnern für das Selbstbild dann häufig, dass sie gewissenhaft im Bioladen einkaufen und anschließend mit dem Stoffbeutel nach Hause gehen.

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Zur gleichen Zeit: Baustelle in Goa

Die Ergebnisse sind nicht selten maximal ausgelastete Grundstücke, leblose Fassaden, fragwürdige Farbkonzepte und der Einsatz von minderwertigen Baustoffen. Auch hier in Pankow kann man das an mehreren Beispielen bestaunen, und bekommt damit gleich Gründe für die allgemeine Skepsis gegenüber Neubauvorhaben geliefert. Folglich sinkt das Vertrauen in die Bauherren und Architekten.

Architektur als Wegbereiter

Dabei ist Architektur immer ein Spiegel der Gesellschaft und bildet ihre Strukturen ab. An der Gründerzeitarchitektur sieht man, wie „oben“ und „unten“ miteinander im Haus lebten. Vorne die Herrschaften mit den großen Räumen, hinten die Arbeiter und Dienstboten. An den Plattenbauten im Osten der Stadt, aber auch am Märkischen Viertel erkennt man, woran es Berlin lange Zeit vor allem fehlte: an billigem Wohnraum. Durch realisierte Architektur können wir Prioritäten erkennen. Architektur kann integrieren oder sequestrieren, sie kann Wegbereiter sein, sie kann Stadträume schaffen oder zerstören. Und: Nachhaltige und qualitativ hochwertige Architektur will sich eben nicht jeder leisten. Die Frage ist, wie so oft, wie viele Kompromisse ist man bereit, beim Immobilienkauf einzugehen? Was möchte ich für meine 3400 €/m² Wohnfläche als Gegenleistung bekommen?

Seit dem Umbau der Alten Mälzerei, also seit dem Beginn der Umwälzungen im Florakiez, sind hier hunderte von Wohnungen und Häusern entstanden. Darunter gibt es viele gelungene Bauprojekte, aber eben auch viele unter den Kiezbewohnern kontrovers diskutierte Häuser, die offensichtlich nicht nach den Kriterien „Funktion“ und „Gestalt“ nachhaltig geplant und finanziert wurden. Dabei geht es nicht um die Frage, ob etwas als „schön“ oder „hässlich“ empfunden wird, denn das sind rein subjektive Kategorien, die jeder anders bewertet, auch im Verlauf der Zeit. Aber wie gesagt: Architektur ist ein Spiegel der Gesellschaft! Und wenn die Gesellschaft qualitative Architektur nicht einfordert, wird es immer auch Projekte geben, bei denen die oben erwähnte Toleranz und Flexibilität schwer fällt.

Steffen Janke ist Architekt. Er lebt und arbeitet in der Nachbarschaft.

Fundstück: Urban und grün?

Gesehen in der Gaillardstraße

Das FriedrichsCarré wirbt mit grüner Umgebung. Für den Neubau sind jetzt alle Bäume auf dem zuletzt als Parkplatz genutzten Grundstück gefällt worden. Kurz vor Toreschluss – denn in Berlin darf während der Vegetationsphase von März bis September nicht abgeholzt werden. Ausnahmen von dieser Regelung sind allerdings möglich.

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