Noch immer guckt Kurt Hillmann sich um: „Wer ist hinter einem, wer läuft neben einem?“ Während des Dritten Reichs wohnte er mit seinen Eltern nahe dem Alexanderplatz und kriegte täglich Prügel – von Mitgliedern der Hitlerjugend, die ihm auflauerten. „Vorwärts zur Schule, rückwärts nach Hause.“ Nach anderthalb Jahren zog der Vater die Notbremse und nahm seinen Sohn von der Schule. Einer jüdischen Schule. Denn Hillmann hatte eine jüdische Mutter.
„So begann das“, erinnert sich der 1933 in Berlin geborene Zeitzeuge Hillmann an die Hitlerzeit. Später verschwanden seine Freunde. „Abgeholt sein, heißt tot.“ Das wusste er dank der offenen Kommunikation mit seinen Eltern. Wann immer er die Wohnungstür eines Freundes versiegelt vorfand, wusste Kurt Hillmann, was passiert war. Es sei schon früh klar gewesen, dass Juden deportiert wurden, auch wenn später alle behaupteten, nichts gewusst zu haben, so Hillmann in einem bewegenden Interview in der Evangelischen Kirche in Alt-Pankow. Er selbst war einer von elf Prozent jüdischer Kinder in Deutschland, die den Holocaust überlebt haben. Dank seiner Beziehungen ins Bezirksamt sorgte der Vater 1944 dafür, dass sein Sohn nicht in einem Lager für „Mischlingskinder“ in Österreich landete, sondern in einem für tuberkulosekranke Kinder im Allgäu – behütet von katholischen Nonnen. Hillmanns Mutter überlebte den Krieg nicht. Auch sie hatte versucht, in ein Heim für Tuberkulosekranke zu kommen, wurde aber als Jüdin nicht aufgenommen und starb an der Krankheit.
Hillmanns Ausführungen waren der Höhepunkt des Pankower Gedenkens an den Tag der Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren. Vor der Andacht in der Kirche gab es die alljährliche Lichterkette beim ehemaligen jüdischen Waisenhaus, der heutigen Bibliothek von Pankow, mit einer gut dreistelligen Zahl von Besuchern, die dann weiter zur Kirche zogen und auf dem Weg an der Kreuzung Breite Straße / Berliner Straße eine Gedenkminute einlegten.
Bezirksbürgermeister sehr persönlich
In seiner Rede dort machte Bezirksbürgermeister Sören Benn eine sehr persönliche Bemerkung. Er offenbarte, dass sein eigentlicher Großvater, den er nie kennenlernte, ein polnischer Zwangsarbeiter war. Für diese „Schande“ habe der Ehemann seiner Großmutter diese nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mit einer Eisenkette verprügelt. Der polnische Großvater war da schon verschwunden.