Franziskanerkloster: Keine „geile Suppe“ mehr

Von | 1. April 2020
Wollankstraße 19, direkt neben REWE

Vor Corona hat das Franziskanerkloster in der Wollankstraße bis zu 400 Menschen am Tag versorgt, mit einem warmen Essen, einer neuen Jacke, der Möglichkeit zu duschen und sich mal wieder zu rasieren. Und oft war es auch einfach der soziale Austausch, der half. Doch mit Corona hat sich alles verändert, es gilt das Gebot der Distanz. Welche Auswirkungen das für die Arbeit des Franziskanerklosters hat, haben wir den Leiter der Suppenküche, Bernd Backhaus, gefragt.

florakiez.de: Mit der Ausbreitung des Corona-Virus und den Einschränkungen des öffentlichen Lebens musste auch das Franziskanerkloster sein Hilfsangebot verändern. Was ist noch möglich und was nicht?

Bernd Backhaus: Das ist richtig, unser Angebot ist massiv eingeschränkt: Die Kleiderkammer, die Hygienestation und die Sozialberatung sind aktuell eingestellt, die Suppenküche funktioniert nur noch in der minimalst möglichen Variante: Wir geben täglich Stullen und Tee aus, die unsere Gäste an der vom REWE aus im Innenhof der Suppenküche gut sichtbaren Holzbude entgegennehmen können, wobei auch wir den Boden mit Hinweisen auf Abstand gekennzeichnet haben.

Um 12:45 öffnen sich die Läden, immer dienstags bis sonntags

Was bedeutet das für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Wir sind ein kleines hauptamtliches und ein sehr großes ehrenamtliches Team. Viele unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter gehören zur Hochrisikogruppe und reisen aus ganz Berlin, zum Teil auch darüber hinaus, mit dem ÖPNV zur Mitarbeit an. Das geht aktuell natürlich gar nicht mehr. Da wir aber auch nicht mehr so viele helfende Hände benötigen, es wird nicht mehr geschnippelt und gekocht, sondern nur noch geschmiert, hat sich die Struktur in der Arbeit auch geändert. Und auch hier müssen wir auf Abstand achten und können natürlich nur weniger Mitarbeiter gleichzeitig einsetzen.

Auch wenn und gerade weil viele nicht mehr anreisen und helfen können, kommt der Kiez viel mehr zum Tragen und zeigt seine Stärke darin, uns in dieser eingedämpften Zeit in der grundlegendsten Funktion zu erhalten.

In der Zeit vor Corona hat das Franziskanerkloster rund 200 Essen am
Tag rausgegeben. Was schätzen Sie, wie viele Menschen kommen jetzt
noch zu Ihnen?

Unter normalen Bedingungen zählen wir mittags immer die Suppenschüsseln, die wir abwaschen, und wissen dann, wie viele Gäste wir versorgt haben. Jetzt schätzen wir anhand der Stullen, die rausgegangen sind, wie viele Gäste da waren. Bisher bleibt die Zahl immer noch bei mehr als 100 Gästen am Tag – durchaus beeindruckend finde ich auch diese Zahl immer noch.

Wie reagieren die Betroffenen auf die veränderte Situation?

Unsere Gäste haben insgesamt sehr diszipliniert reagiert. Natürlich verstehen viele nicht so genau, was da jetzt eigentlich passiert – aber das tun wir ja alle nicht so ganz genau. Es gab viel Bedauern, ein Gast kommentierte noch vorige Woche: Ihr habt immer so geile Suppen gekocht – ich habe geantwortet, dass ich sehr hoffe, dass wir das auch bald wieder tun können: geile Suppen kochen.

Es gibt nicht nur keine „geile Suppe“ mehr, auch der Saal wurde geschlossen.

Natürlich fehlt die Wärme, die Heimelichkeit des Saales, das, was unsere Arbeit jenseits der bloßen Verpflegung ausmacht: Die Zuwendung zu unseren Gästen, ein schöner, warmer Raum für die Menschen, die ansonsten so wenig Raum haben.

Was bekommen Sie mit, wie geht es Ihren Gästen insgesamt in Corona-Zeiten mit den vielen Einschränkungen und der Angst, sich
anstecken zu können? Gibt es mehr Aggressionen, mehr Stille?

Leider bringt es die Situation ja mit sich, dass wir nur wenig Rückmeldung bekommen. Vor Ort geht alles sehr ordentlich zu, jede Aufforderung, doch bitte etwas mehr auf Distanz zu achten, wird befolgt. An der Stelle ist eher Stille die Reaktion – und Dankbarkeit, dass wir wenigstens dieses Angebot noch aufrecht erhalten. An anderer Stelle mag es dann anders aussehen: Ein Gast kommentierte, dass er mit Sicherheit klauen gehen würde, wenn wir nicht mehr wenigstens die Stullen anbieten würden. Das glaube ich ihm.

Sehr vereinzelt gibt es dann auch noch andere Reaktionen: Eine Dame, die seit einiger Zeit zu Gast in der Suppenküche ist und ohnehin eine Tendenz zum auffälligen Verhalten zeigt, hat die Situation im Innenhof gesprengt, indem sie laut beleidigend und die Distanz missachtend unterwegs war. Die Aufforderung zu gehen, missachtete sie ebenso – bis wir dann die Polizei rufen mussten, was zu unschönen Szenen führte, die von ihr dann noch vom REWE-Parkplatz her fortgesetzt wurden. Da auch sie ein armer Mensch mit Hunger ist, kommt sie mittlerweile etwas beherrschter wieder in der Schlange zur Stullenausgabe.

Auch die Hygienestation und die Kleiderkammer mussten Sie schließen, welche Auswirkungen hat das für Bedürftige?

Eben diese Dame beschwerte sich bei mir, dass sie nun ja gar nicht mehr neue Kleidung bekommen könne. Ich antwortete ihr, dass ich das auch nicht mehr kann, da ja auch alle Geschäfte geschlossen sind. Für die wirklich dringenden Bedürfnisse sind wir natürlich weiter da, die Kleiderkammer gibt es ja noch, und wenn jemand sich an uns wendet und dringend eine frische Hose oder Unterhose braucht, kann er die selbstverständlich noch bekommen.

Für die hygienischen Bedürfnisse können wir leider keine wirkliche Lösung anbieten, da braucht es Ideen und Initiativen aus Bezirk und Stadt, die vor allem die Obdachlosen unter unseren Gästen erreichen.

Sie ermöglichen Ihre Arbeit zu 100 Prozent aus Spenden, hat sich das jetzt verändert?

Ja, wir leben von Spenden – das, was wir an Lebensmitteln nicht gespendet bekommen, kaufen wir von Spendengeldern zu. In der aktuellen Situation bekommen wir aber auch viele Anfragen und konkrete Unterstützung von einzelnen Menschen und anderen Organisationen, die gerade jetzt anfragen und uns gezielt mit Butter, Margarine, Aufschnitt und Brot beschenken. Schön ist es darüber hinaus auch, wenn zum Beispiel noch Obst oder Gemüse dazu kommt, das wir weiter geben können.

Welche Unterstützung können Sie weiterhin gebrauchen?

Es ist großartig zu erleben, wie sehr wir getragen sind von der Mithilfe und Unterstützung der Menschen hier aus dem Kiez! Gerade auch an dieser Stelle: Danke dafür! Als Suppenküche sind wir von Anfang an eine Initiative von vielen kleinen Menschen für viele kleine Menschen gewesen, und das beweist sich heute wieder. Tag für Tag leben wir davon, dass es auch jetzt Menschen gibt, die uns helfen, dass wir Brote und Aufschnitt haben, die wir herausgeben können. Unser Dienst besteht wie immer darin, all die vielen Hilfen zu koordinieren.

Für sehr gut halte ich auch die Idee mit den Gabenzäunen. Natürlich ist diese Hilfe dann weniger koordiniert, aber für unsere Gäste und alle Bedürftigen ist das gerade jetzt ein super Zeichen und eine großartige Art, die Solidarität mit denen zu leben, die nicht hamstern können – weil sie weder das Geld dafür und schon gar nicht den privaten Stauraum haben.

Die meisten Menschen ziehen sich jetzt in ihre Familien zurück, aber
das können nicht alle. Was ist Ihr Rat, worauf sollten wir alle
achten?

Distanz ist das Gebot der Stunde, daran lässt sich nicht rütteln. Distanz heißt aber nicht notwendigerweise, sich von den anderen abzuwenden. Viele merken, dass mit der Distanz auch eine erhöhte Aufmerksamkeit füreinander einhergeht, eine feine, schöne Form der gegenseitigen Wahrnehmung. Wir Menschen bleiben auch in und nach der Corona-Zeit soziale Wesen. Auch wenn wir nicht jede und jeden mit in unsere Familie nehmen können, können wir doch auch bei kurzen Begegnungen Zuwendung und Teilnahme signalisieren. Das ist immer der Anfang, daraus kann etwas erwachsen, eine freundliche Begegnung, eine Initiative zum Gabenzaun oder auch eine Suppenküche, die seinerzeit genau diese Anteilnahme als Initialzündung hatte.

Angesichts der allgemeinen Distanz-Auflagen haben wir die Fragen schriftlich gestellt.

Aushang im Schaukasten

3 Kommentare zu “Franziskanerkloster: Keine „geile Suppe“ mehr

  1. Nachbar

    Danke für dieses lesenswerte Interview und Danke ans Kloster, dass sie durchhalten!

  2. Max

    Ich bin immer wieder erschreckt über die Zahl an Hilfsbedürftigen im „besten Deutschland das wir je hatten.“

    1. Kenny

      @Max
      Das Unrecht hat nur eine begrenzte Lebenszeit.
      Ich hoffe nur, dass mit und besonders nach Corona die Menschen endlich mehrheitlich aufwachen.

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