Interview mit Baustadtrat Kirchner (Teil 1): „Das hat der Kiez nicht verdient“

Von | 24. Januar 2014
Jens-Holger Kirchner

Er gilt als durchsetzungsstark, bürgernah und streitbar: Pankows Grüner Stadtrat Jens-Holger Kirchner. Als damaliger Chef des Ordnungsamtes hat er die Smileys für Restaurants eingeführt. Seit 2011 ist er Stadtrat für Stadtentwicklung und damit zuständig für fast alle Auswirkungen, die das starke Bevölkerungswachstum in Pankow mit sich bringt. Im Florakiez streitet er mit Investoren um Baugenehmigungen, verbietet Luxussanierungen und kümmert sich um Zebrastreifen.

florakiez.de:  Als Stadtrat für Stadtentwicklung sind Sie für 13 Ortsteile in Pankow zuständig. Wie vertraut ist Ihnen da der Florakiez?

Jens-Holger Kirchner: Sehr sogar. Ich nenne Ihnen ein paar Stichwörter: Durch die vielen Projekte der politischen Bildung kenne ich das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium und die Jugendfreizeiteinrichtung sehr gut. Der Prozess zur Umnutzung und Sanierung der Alten Mälzerei ist mir noch in guter Erinnerung. Durch die damals sehr rege Betroffenen-Vertretung des Sanierungsgebietes hatte ich intensive Kontakte mit dem Kiez. Die Auseinandersetzungen um die Kleingartenanlage Famos oder die Bemühungen um mehr Verkehrsberuhigung in der Brehmestraße sind weitere Momente. Nicht zu Vergessen ist der Bau der Floragärten, die Verkehrslösung vor dem REWE-Markt oder der Garbátyplatz. Und eins muss unbedingt noch erwähnt werden. Das Café Paula hatte als einer der ersten Betriebe in Pankow einen Smiley für sehr gute Sauberkeit und Hygiene.

Gibt es auch persönliche Berührungspunkte zum Florakiez?

Nein. Persönliche, private Bezüge gibt es ja nur, wenn man dort jemanden kennt. Ich habe hier weder gewohnt, gearbeitet, noch Freunde gehabt. Insofern gibt es zur Florastraße keine Berührungspunkte mit meiner privaten Biographie. Ich komme ja aus dem Prenzlauer Berg, da war für uns das Leben. Aber Pankow? Das kam erst 2000/2001 mit der Bezirksfusion so langsam in unseren Fokus.

Sie haben lange Zeit in der Knaackstraße gewohnt, später kurz im Friedrichshain, heute leben Sie an der Weißenseer Spitze. Sind Sie eigentlich noch Mieter?

Ja! Ich persönlich brauche kein Wohneigentum. Und dennoch, es war ein großer strategischer Fehler, dass wir 1990/91 kaum Häuser gekauft haben. Das muss man mit einem Abstand von 25 Jahren schon sagen.

Wenn Sie von „wir“ reden, meinen Sie den Bezirk und das Land?

Ja, aber auch die Menschen, die aktiv waren. Wir haben zu wenig Genossenschaften gebildet. Das hatten wir überhaupt nicht auf dem Schirm. 100.000 DM für ein Haus am Kollwitzplatz…

…heute unvorstellbar! Sind Sie damals aus der Knaackstraße verdrängt worden?

Ja, ich wohnte in einem Haus, welches von einer der wenigen privaten Hausverwaltungen im Osten betreut wurde. Das Haus war gut, der Zustand miserabel. So nach und nach zogen alle aus, da war ich dann zum Schluss alleine in dem Haus. Im Winter`96, der ja so hart war, dass auch die Ostsee zugefroren war, bin ich immer unten ins benachbarte Restaurant aufs Klo gegangen und habe mir dort Wasser geholt. Es war ja alles zugefroren im Haus. Da habe ich dann irgendwann entnervt aufgegeben. Ich neige nicht dazu, mich als Opfer von Verdrängung durch Sanierung zu stilisieren. Aber ich weiß, was es bedeutet, vor einer Sanierung zu stehen und dann irgendwelche Angebote mit Staffelmietverträgen zu kriegen. Da konnte man sich ausrechnen, wo das endet. Ich hatte dann auch keine Lust auf diese Sanierung selbst. Das ist ja kein Spaß, so dass ich auch verstehen kann, wenn Leute das Weite suchen. Wer möchte schon anderthalb, zwei Jahre auf einer Baustelle wohnen?! Oder zweimal umziehen. Umso wichtiger sind heute die Mieterschutzinstrumente.

Sie haben während Ihrer Zeit in der Knaackstraße miterlebt, wie sich Prenzlauer Berg zu in einem schicken In-Bezirk entwickelt hat. Wiederholt sich die Entwicklung jetzt in Alt-Pankow?

Ja, das hat sich, wenn auch abgeschwächt, wiederholt. Das war deutlich spürbar. Mit der Entscheidung für Schönefeld als Standort für den Flughafen sind die Grundstückspreise und die Mieten in Pankow gestiegen. Es wurde plötzlich hoch interessant, in Pankow zu wohnen, immer vorausgesetzt, dass dort nicht mehr geflogen wird. Dann kam mit Verzögerung genau die Entwicklung, die in Prenzlauer Berg auch signifikant war: Sanierung und Austausch der Bevölkerung. Allerdings nicht so stark, weil das Gebiet kleiner war. Das Sanierungsgebiet Wollankstraße war ja nur ein Fünftel/ein Sechstel von dem, was in Prenzlauer Berg Sanierungsgebiet war. Und es war auch nicht so stark, weil bestimmte Parameter nicht vorhanden waren.

Die da wären?

Es gab z.B. wesentlich mehr Wohnungen in den Erdgeschossbereichen, nicht so breite Bürgersteige und damit auch nicht so viel Gastronomie. Das sieht man ja in der Florastraße ganz schön mit den Vorgärten, das hat etwas völlig Eigenes. In der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg dagegen fanden Sie früher nur Gaststätten und Kneipen. Diese monokulturelle Nutzung gab es im Florakiez zum Beispiel nicht. Dafür ist der Kiez auch zu kuschelig. Wir registrieren aber einen deutlichen Aufwertungsdruck, der sich in den steigenden Miet- und Grundstückspreisen festmachen lässt.

Es heißt, in Prenzlauer Berg wohnen heute noch 18 Prozent der Menschen, die früher schon dort gewohnt haben. Was schätzen Sie, wie wird das in ein paar Jahren in Alt-Pankow sein?

Höher, ich schätze 20 bis 30 Prozent. Hier ist eine andere Baustruktur. Im Florakiez haben wir auch einen höheren Anteil an städtischen und Genossenschaftswohnungen. Ich glaube, der Austausch der Bevölkerung wird abgeschwächter als im Prenzlauer Berg sein. Dennoch, es gibt einen nachgewiesenen Aufwertungs- und Verdrängungsdruck im Gebiet. Deshalb haben das Bezirksamt und die BVV im Mai 2013 das Gebiet zwischen den beiden S-Bahnhöfen Wollankstraße und Pankow und zwischen Bürgerpark und Schlosspark zum sozialen Erhaltungsgebiet gemacht. Jetzt ist zum Beispiel eine Wohnungszusammenlegung oder eine Luxussanierung verboten. Dadurch wird der weiteren Aufwertung und Verdrängung eines der schärfsten Schwerter des Baurechts entgegengesetzt, um Altbewohner zu schützen.

Floragärten Ecke Gaillardstraße

Gleichzeitig wurden fast alle Baulücken geschlossen oder werden demnächst bebaut…

Was ja per se nichts Schlechtes sein muss. Aber was z.B. mit den Flora“gärten“ gebaut wurde, ist meines Erachtens viel zu dicht.
Das wirkt wie ein Fremdkörper. Ich kann auch nicht erkennen, was da „Gärten“ sein sollen, auch wenn sich mit dem Namen die Wohnungen vielleicht besser verkaufen.

Hätten Sie die Floragärten gerne verhindert?

Nein, aber vielleicht wäre es mir gelungen, eine Bebauung zu erstreiten, die dem Namen eher gerecht würde – also nicht so dicht bebaut, mehr Grün und dem Charakter des Kiezes angepasster. Aber die Diskussion ist müßig, weil die Baugenehmigung erteilt wurde und die Interessen des Investors nun manifest im Kiez stehen. Da ist ja wirklich bis zum letzten Quadratzentimeter alles ausgenutzt. Das hat der Florakiez nicht verdient. So geht man nicht mit Stadt um. Das ist übrigens ein Punkt, aus dem man nicht gelernt hat, denn mit den Schweizer Gärten am Filmtheater am Friedrichshain ist uns das schon einmal passiert. An Beispiel bei der Alten Mälzerei…

…einem umgewidmeten Brauereikomplex an der Neuen Schönholzer Straße…

…ist das besser geworden. Aber der Eigentümer ist ja der Gier nicht erlegen gewesen und hat nicht noch irgendetwas daneben gebaut, obwohl da ja noch Platz gewesen wäre.

Mit Jens-Holger Kirchner sprachen Cathrin Bonhoff und Hanno Hall

Teil 2: Kleingartenanlage Famos, Nasses Dreieck
Teil 3: Ärztehaus am Garbátyplatz, Krieger-Projekt, Schulen und Verkehr