Interview mit Stadtrat Kühne (Teil 1): „Wer am lautesten schreit, bei dem sind wir zuerst“

Von | 26. Juni 2014
Torsten Kühne, Stadtrat (CDU)

Dr. Torsten Kühne, Stadtrat (CDU)

Torsten Kühne ist ein echter Berliner, schon seine Großeltern wurden hier geboren. Aufgewachsen in Prenzlauer Berg und Lichtenberg, wohnt er heute im Winsviertel. Seit 2006 ist er Mitglied der CDU und seit 2011 Pankower Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice und damit Chef des Ordnungsamtes. Er unterstützte die gescheiterte App „Straßensheriffs“, mit der Bürger Falschparker melden sollten und kämpft weiterhin für die Pankower Smileyliste. Florakiez.de sprach mit ihm über die Herausforderungen eines stark wachsenden Bezirks.

florakiez: Sie sind zuständig für alle 13 Pankower Ortsteile. Was verbinden Sie mit dem Florakiez?

Torsten Kühne: Das ist sozusagen der Hinterhof des Pankower Rathauses – wobei das Rathaus noch von der Bausubstanz am schlechtesten aussieht, aber das soll ja irgendwann auch mal saniert werden. Der Florakiez ist ein aufstrebender Kiez, in dem viel passiert. Es wird viel gebaut und es ziehen viele junge Familien dorthin. In der Florastraße sind mittlerweile Cafés, in denen man jetzt den berühmten Latte Macchiato trinken kann. Ich finde es ein sehr schönes Flair. Ein Flair, das auch noch Aufbruch zeigt. Wenn irgendwann in 10 bis 20 Jahren auch noch der Flugverkehr nicht mehr direkt über Alt-Pankow nach Tegel reinfliegt, spätestens dann wird das eine Lage sein, in der die Preise noch einmal deutlich anziehen werden. Deswegen sage ich immer: jetzt kaufen oder einmieten.

Sie sprechen scherzhaft von 10 bis 20 Jahren bis der Flughafen Tegel schließen könnte, haben Sie auch eine ernsthafte Prognose?

Als Umweltstadtrat bin ich Mitglied in der Fluglärmkommission. Wir sitzen regelmäßig zusammen, aber über einen Eröffnungstermin für den BER haben wir seit zwei Jahren nichts mehr gehört. Man will sich einfach nicht mehr lächerlich machen.

Welche Möglichkeiten hat die Kommission, die Situation für die Anwohner von Tegel erträglicher zu machen?

Wir können in der Lärmkommission nur Empfehlungen abgeben und versuchen immer, die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu einer restriktiven Handhabung zu drängen. Wir haben ganz klar gesagt, am Nachtflugverbot von 23 bis 6 Uhr wird nicht gerüttelt. Verspätet reinkommende Flüge bis 23:30 Uhr müssen begründen, warum sie zu spät waren. In der Zeit zwischen 23:30 Uhr und 00:00 Uhr dürfen Flüge nur dann starten oder landen, wenn die zuständige Senatsverwaltung im Vorfeld eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat. Mehr geht nicht.

Wie sieht es denn mit Schallschutz aus?

Da ist nichts zu machen. Wir haben versucht, in neu aufgelegte Schallschutzprogramme zu kommen. Doch für den gesetzlichen Grenzwert ist der sogenannte Dauerlärmpegel entscheidend. Nun bin ich promovierter Physiker, mir sagt das ein bisschen was. Ein Dauerlärmpegel ist ein theoretischer Wert. Sie mitteln die einzelnen Lärmspitzen zu einem Durchschnittswert, den aber niemand physisch wahrnehmen kann. Sie als Anwohner nehmen die maximale Lautstärke wahr und die Anzahl der Lärmereignisse, da ist für Sie der Dauerlärmpegel etwas vollkommen Abstraktes. Deshalb müssen wir dem Bürger immer erklären, die Lärmbelästigung wird mittels Dauerlärmpegels berechnet und dieser abstrakte Mittelwert liegt innerhalb der zulässigen Grenzwerte. Da lässt sich nichts machen. Auch wenn es vom Gefühl her lauter geworden ist, weil es mehr Lärmereignisse gibt. Aber das einzelne Lärmereignis ist leiser geworden, da die Flugzeuge modernisiert wurden. Ob Sie dann dreimal die Nacht durch ein etwas leiseres Flugzeug aufgeweckt werden oder einmal durch ein ganz lautes… Ich glaube, da ist Ihnen das einmalige ganz laute noch lieber.

Lässt sich der nächtliche Postflug abschaffen?

Nein. Die Post hat nach wie vor eine generelle Ausnahmegenehmigung. Sie kann rund um die Uhr auf allen deutschen Verkehrsflughäfen starten und landen. Es gibt nur noch einen Postflug in der Nacht, zwischen Stuttgart und Berlin. Wenn sie die Verbindung nicht hätten, könnte man die Zustellung über Nacht für große Teile Nordostdeutschlands nicht mehr garantieren. Dasselbe gilt auch für die andere Richtung in den Südwestdeutschen Raum.

Alt-Pankow wächst, viele Familien ziehen in den Florakiez. Was sind die größten Herausforderungen?

Schul- und Kitaplätze sind ganz klar ein Problem, nicht nur im Florakiez. Pankow ist schon jetzt der größte Bezirk mit 380.000 Einwohnern und bis 2030 kommen noch einmal 16 Prozent hinzu. Das heißt, wir reden bis zum Jahr 2030 noch mal über bis zu 60.000 Neu-Pankowerinnen und Pankower und davon werden sicherlich auch viele in den Florakiez ziehen. Es ist nicht mehr nur der Prenzlauer Berg, es sind auch die Ortsteile wie Alt-Pankow, Niederschönhausen, Wilhelmsruh, Karow oder Buch, die sehr stark wachsen.

Wie sieht es in Ihrem Verantwortungsbereich aus, mit welchen Problemen hat das Ordnungsamt angesichts des starken Zuwachses zu kämpfen?

Das Wachstum an Einwohnern wirkt sich mit einer gewissen Zeitverzögerung in allen Bereichen aus. Beim Ordnungsamt merke ich das z.B. an der Zahl der Beschwerden. Dabei habe ich das Gefühl, dass auch das Anspruchsdenken größer geworden ist. Wir haben viele Lärmbeschwerden, so spalten die schönen Schankvorgärten z.B. offensichtlich die Gemüter. Sie werden teilweise als zu laut oder zu groß empfunden. Auch öffentliche Sauberkeit ist immer wieder ein großes Thema.

In Alt-Pankow sieht man eigentlich nie jemanden, der irgendetwas kontrolliert – wie kommt das?

Das liegt an der Personalausstattung des Bezirks. Wir haben z.B. zwar 150 Kollegen für die Parkraumüberwachung in Prenzlauer Berg. Die Kollegen dürfen – ich sage auch leider – nur den ruhenden Verkehr in den Parkraumzonen kontrollieren. Das ist eine Frage der Ausbildung und – das ist das entscheidende – der Besoldung. Darauf weist uns die Senatsverwaltung regelmäßig ganz deutlich hin, dass diese Kollegen um Gottes Willen keine anderen Aufgaben übernehmen dürfen. Und deshalb entstehen auch diese unschönen Situationen in den Parkzonen, dass diese Mitarbeiter an Radfahrern, die auf Gehwegen fahren, vorbeigehen, ohne etwas zu sagen. Wir haben nur 20 Kollegen für den allgemeinen Ordnungsdienst, die für den gesamten Bezirk zuständig sind, zwischen 6 und 22 Uhr. Sie sind zuständig für alles rund um öffentliche Ordnung und Sauberkeit, also Einhaltung von Nichtraucherschutz, Jugendschutz, Ladenöffnungsgesetz, Naturschutz, Hunde und so weiter.

Wächst denn Ihre Behörde mit dem Bevölkerungswachstum oder schrumpft sie wenigstens langsamer?

Es ist eher reziprok. Je stärker der Bezirk gewachsen ist, umso stärker wurde bisher Personal abgebaut. Der Großbezirk Pankow, der ja 2001 aus den drei Bezirken Weißensee, Prenzlauer Berg und Pankow entstanden ist, hat seitdem 40 Prozent seines damaligen Personals abgebaut. Die Resultate sehen wir jetzt. Wenn Sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen, sehen Sie das wuchernde Unkraut, die Schlaglöcher und den Zustand der öffentlichen Gebäude. Das ist keine gesunde Entwicklung. Der Bezirk Pankow muss bis 2016 noch 38 Stellen abbauen. Wir haben rund 2000 Mitarbeiter im Bezirksamt Pankow, da klingen 38 Stellen vielleicht nicht viel. Man darf aber nicht vergessen, dass wir mit den 2000 Stellen, die wir jetzt haben, schon vorne und hinten nicht zu Rande kommen, ganz zu schweigen von den 20 Stellen für den allgemeinen Ordnungsdienst.

Wie setzen Sie da die Prioritäten?

Wenn wir aus einem Ortsteil massive Beschwerden bekommen, dann ist das für uns eine Priorität. Ein Klassiker in der Florastraße ist die Ecke Mühlenstraße. Dort haben wir sehr breite Gehwege mit Mosaikpflaster. Da wird gerne richtig draufgefahren und vor einem Geschäft geparkt. Die Mitarbeiter nehmen sich auch Schwerpunkte vor, zum Beispiel Altkleidercontainer in Alt-Pankow. Aber es kommt immer wieder etwas Aktuelles dazwischen, denn wir bekommen zusätzlich auch Hinweise von der Polizei. Sie ist für den fließenden Verkehr zuständig, das Ordnungsamt für den ruhenden. Wenn also eine Einfahrt zugeparkt ist, leitet die Polizei das an das Ordnungsamt weiter. Es ist leider wirklich oft so, wer am lautesten schreit, bei dem sind wir zuerst.

Dann wäre doch das elektronische Bürgermeldesystem Maerker auch praktisch für Pankow?!

Selbstverständlich. Maerker ist das System aus Brandenburg, das jetzt erst mal als Hilfskrücke in drei Bezirken eingeführt wurde. Aber es ist ein System, das technisch gesehen in den 90er-Jahren entwickelt wurde. Berlin wollte von Anfang an ein eigenes Beschwerde-Management-System einführen. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass Pankow Pilotbezirk wird und wir arbeiten daran auch im Hintergrund. Das neue System soll vollständig medienbruchfrei funktionieren, d.h. Daten müssen nicht mehr händisch zur Weiterleitung eingegeben werden. Zusätzlich soll es eine App geben. Die Bürger können dann Statusmeldungen erhalten, in welcher Abteilung das Anliegen gerade bearbeitet wird. Zum 1. Januar 2015 soll das System für alle Bezirke zur Verfügung stehen, so der ambitionierte Plan. Also wird es wohl – mit ein bisschen Glück – im Laufe des nächsten Jahres eingeführt. (lacht)

Wie soll das neue System heißen?

Über den Namen wurde bisher nicht gesprochen. Ich denke mal nicht, dass es Maerker heißen wird. Der Name hat ja einen eindeutigen Bezug zu Brandenburg. Insofern wäre es schön, wenn Berlin sich etwas Eigenes einfallen lassen könnte.

Angenommen, das System funktioniert gut, dann wird die Zahl der Eingaben erheblich steigen und irgendjemand muss sie abarbeiten….

Das ist richtig, dadurch haben wir nicht mehr Mitarbeiter. Die Hoffnung ist, dass die Weiterleitung der Beschwerden dann effektiver läuft. Das würde uns im Innendienst entlasten. Aber es schafft auch mehr Transparenz und darin sehe in einen großen Vorteil. Dann kann man deutlich sagen, wir haben so und so viele Beschwerden. Mit den Mitarbeitern, die wir haben, können wir nur 50 Prozent abarbeiten – Land Berlin hilf uns! Ansonsten habe ich die Vermutung, dass die Hinweise gar nicht so stark anwachsen werden. Ich glaube, es wird sich eher verlagern – vom Telefon auf die App und die Internetplattform. Wir bekommen jetzt schon rund 100 Hinweise pro Tag über alle Kanäle, Telefon, Fax, E-Mail, aber auch noch per Brief in schöner altdeutscher Handschrift.

Das Thema Hunde gehört zu denen, bei denen man sich eine stärkere Präsenz des Ordnungsamtes wünschen würde.

Das Problem ließe sich nicht mit einer stärkeren Präsenz lösen. Aus dem Schlosspark bekommen wir z.B. immer wieder Beschwerden über freilaufende Hunde und zu viel Hundekot. Da die Mitarbeiter in Dienstkleidung unterwegs sein müssen, das ist eine Vorschrift im Land Berlin, ist es jedoch sehr, sehr selten, dass ein Hundebesitzer seinen Hund irgendwo hinmachen lässt, ohne dass er danach seine Tüte zückt. Diese Ordnungswidrigkeit passiert einfach nicht in Anwesenheit des Ordnungsamtes.

Wie stehen die Möglichkeiten, dass Tütenspender aufgestellt werden?

Wir haben ein Angebot der Wall AG gemeinsam mit der BSR, sogenannte Dog Service Stations im öffentlichen Straßenland aufzubauen. Wall ist jedoch kein karitatives Unternehmen, sondern möchte dies durch Werbestandorte gegenfinanzieren. Hier gibt es einen Werberahmenvertrag im Land Berlin, der aber schon seit Monaten neu verhandelt wird. Und so lange darf es in der ganzen Stadt keine neuen Werbeflächen geben. Da kommen wir jetzt nicht weiter, und der Bezirk hat nicht ansatzweise das Geld, selbst Hundekotbeutel-Spender aufzustellen und zu befüllen. Es müsste außerdem im Land Berlin eine Öffentlichkeitskampagne dazu geben. So wie es bei den Rauchern ja auch funktioniert hat. Der soziale Druck ist mittlerweile so groß ist, dass man sich an bestimmten Orten gar nicht mehr traut zu rauchen. So etwas sollte es auch für Hundebesitzer geben.

Mit Torsten Kühne sprachen Hanno Hall und Cathrin Bonhoff.

Teil 2: Smileyliste, Parkraumbewirtschaftung und Altkleidercontainer

4 Kommentare zu “Interview mit Stadtrat Kühne (Teil 1): „Wer am lautesten schreit, bei dem sind wir zuerst“

  1. Horst

    Schönes Interview. Danke an den Stadtrat für die ausführlichen Antworten. Würde mir wünschen, dass es so etwas auch für andere Pankower Kieze gäbe, der Florakiez wird jetzt hübsch gemacht und der Rest vergammelt weiterhin…?

  2. Franziska

    … und mal wi(e)der die Hunde: Kaum ein Kinderbuch, ein Film, ein Comic ohne süßen Wauwau, möchte er aber im richtigen Leben seine Leutchen bei einem Stadtabenteuer begleitend mit in Bahn oder Bus, braucht er als stets potenzielle Gefahr für die Öffentlichkeit einen Maulkorb. Muss der süße Benno oder die Mimmi gar mal, dann aber vor niemands Tür bitte. So richtig süß ist der Hund nur, weil er pro Jahr 11 Millionen Steuern (2012) allein der Stadt Berlin bringt – momentamal, Berlin hat kein Geld für Tütenspender? Und die 11 Millionen? … ? Aber für die befüllten Tüten fände sich auf drei Kilometer Entfernung so oder so kein „Macht Pankow blanko“- Eimer – aber das ist schlussendlich gut so, sonst müssten wir, die Loriots Satz „ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ durch ihre vierbeinige Beleitung varietätenreich zur Schau stellen, im Winter auch noch Geld für Taschenwärmer ausgeben – zusätzlich zur Hundesteuer.

    1. Felix

      Liebes Florakiezteam,

      auch von mir ein Dankeschön für das Interview und die damit verbundenen Informationen.

      @Franziska: Ich zahle übrigens auch Steuern, leite davon aber nicht ab, vor der Tür meiner Nachbarn einen Haufen zu hinterlassen. Für mich hat das etwas mit Verantwortung gegenüber der Nachbarschaft zu tun. Genauso, wie ich mein Kind dazu erziehe, kein Papier auf die Straße zu werfen und, im Falle eines fehlenden Mülleimers, in die Tasche zu stecken. Irgendwer muss die Hinterlassenschaften schlussendlich ja doch entsorgen. Und wer wäre da prädestenierter als der Hundehalter? Der Hund?

      1. Franziska

        @ Felix: äh, ja ich habe immer eine Türe dabei und nutze diese auch – Stichwort Taschenwärmer ;-)! Schade nur einfach, dass nichts dafür getan wird, dass noch mehr Leute das tun und ihnen für 11 Millionen etwas einfacher die Möglichkeit dazu gegeben wird!!! So war’s gemeint! – Kinder habe ich derer drei, die alle gelernt haben die Kaugummis und die dazugehörigen Papiere in die Tasche zu stecken – den leidlichen Beweis dafür finde ich, wenn ich die Wäsche aus der Waschmaschine nehme …

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